Märkische Oderzeitung vom 03. September 1998
Von unserem Redaktionsmitglied Olav Schröder
Bernau. Allein gelassen, tief verzweifelt und ohne Beistand - das ist in der Regel die Situation von Menschen, die bei einem Unfall einen Angehörigen oder Freund verloren haben. Ihnen noch am Unfallort zu helfen und das Gefühl zu geben, daß sie nicht allein auf der Welt sind - dazu sind zwei Mitarbeiter des Bernauer Rettungsdienstes angetreten. Aus der Arbeitsgruppe Krisenintervention von Babak Manssouri und Patrick Masollek entstand ein funktionierender Hilfsdienst, der jetzt mit der Caritas als Träger landkreisweit arbeiten soll.
Die Idee für diesen Dienst entstand im Dezember 1996, schildert der Rettungsdienstassistent Masollek. Ein älterer Mann war plötzlich zusammengebrochen und obwohl ein Rettungswagen in der Nähe war, konnte dem Mann nicht mehr geholfen werden. Der Notarzt hatte die schwere Aufgabe, der Ehefrau die Todesnachricht zu überbringen, mußte gleich danach aber zum nächsten Einsatz. Zurück blieben die beiden Rettungsdienstmitarbeiter, die sich "aber auch hilflos fühlten", sagt Masollek. "Niemand war da um der Frau in ihrer schlimmsten Stunde helfen zu können. Sie war von einem Augenblick auf dem nächsten alleine."
Zwei Monate später wurde die Arbeitsgemeinschaft Krisenintervention von den beiden Rettungsdienstlern gegründet. Das Ziel, eine kostenfreie, psycho-soziale Akutbetreuung der Angehörigen von Unfallopfern, ist inzwischen verwirklicht worden.
Seit dem 3. November 1997 sind die ehrenamtlichen Helfer aktiv. Mittlerweile haben insgesamt 18 Mitarbeiter in über 40 Einsätzen vornehmlich im Niederbarnim seelische Erste Hilfe geleistet. Ab dem 1. September übernahm die Caritas für ein Jahr die Trägerschaft.
Ab dem 1. Pktober wird der Dienst auch regulär im Bereich Eberswalde eingeführt, anschließend im Raum Joachimsthal, so daß erstmals im Land Brandenburg landkreisweit ein konfessionsübergreifender seelischer Notdienst bei Unfällen besteht - in der Stadt Brandenburg arbeitet bereits ein ähnlicher Hilfsdienst.
Mit dem Einstieg der Caritas ist auch die finanzielle Situation günstiger. Bislang haben Manssouri und Masollek private Mittel in Höhe von rund 9000 Mark in ihre Idee und für die Hilfe anderer investiert. Hinzu kamen Kollekten von evangelischen und katholischen Kirchengemeinden und private Spenden. Ein Mobilfunkanbieter hat den seelischen Notdienst auf eigene Kosten mit den unbedingt erforderlichen Handies ausgestattet. Nunmehr können auch öffentliche Fördermittel beantragt und Spendenbescheinigungen ausgestellt werden.
Etwa zwei bis drei Einsätze kommen in einer Woche auf die Mitarbeiter zu. Dazu gehören alle Arten der Opfer- und Angehörigenbetreuung wie zum Beispiel bei Selbstmordversuchen, dem plötzlichen Kindstod, Unfällen und natürlich auch das Überbringen von Todesnachrichten.
Die beiden Initiatoren haben sich in der Aufbauphase Fachliteratur besorgt. Sie nahmen den Kontakt mit bestehenden Hilfsdiensten in anderen Bundesländern auf, blickt der heutige Psychologie-Student Manssouri zurück. Krankenschwestern, Sozialarbeiter,Rettungsdienstler sowie evangelische und katholische Pfarrer kamen als engagierte Mitstreiter hinzu.
Jeder von ihnen hat alle zwei Monate sieben Tage lang rund um die Uhr Dienst - neben dem Beruf und dem Privatleben. Den Kreis Barnim dürfen sie während der Einsatzwoche nicht verlassen, um die Einsatzzeit unter 30 Minuten zu halten, wie die KID-Mitarbeiterin und Pfarrerin Ilona Kretzschmar-Schmidt aus Basdorf sagt. Möglichst schnell an einem Unfallort zu sein, das ist auch für die seelische Hilfe mitentscheidend. "Ein psychisches Trauma entsteht in den ersten Momenten nach einem Unfall", so Frau Kretzschmar-Schmidt. Das wichtigste sei, den Angehörigen das Gefühl zu geben, sie seien nicht allein. Ruhe statt Panik zu schaffen, sei ebenso entscheidend. Oft tauche gleich die Frage der Schuld und der Schuldbewältigung auf. "Dafür haben wir Zeit, weil wir nicht in die akute Rettung eingebunden sind oder gleich zum nächsten Unfall müssen."
Jeder Mitarbeiter verfügt über ein Handy. Eingesetzt wird er ausschließlich von der Leitstelle der Polizei beziehungsweise der Feuerwehr, kann also nicht direkt angerufen werden. Die Handynummer ist bewußt geheim. Der KID ist weder Telefonseelsorge, noch eine Organisation, die langfristig die Hinterbliebenen betreut. "Die ehrenamtlichen Mitarbeiter dürfen auch nicht überlastet werden", sagt der leitende Polizei-Direktor des Polizeipräsidiums Eberswalde, Klaus Wiese. "Ihre Arbeit ist uneigennützige, praktische Nächstenliebe und Barmherzigkeit in der reinsten Form."
Froh über den Kriseninterventionsdienst ist auch Dr. Gerd Hartmann, der Leiter des Rettungsdienstes. "Die Möglichkeiten zur seelischen Betreuung von unversehrten Unfallbeteiligten sind im Rettungsdienst begrenzt", weiß er. Erfreulich sei aber auch, daß sich KID nach kritischen und seelisch schwierigen Einsätzen auch für die Rettungskräfte, die Polizisten und die Feuerwehrmänner zuständig fühle.
Zur Vorbereitung der KID-Mitarbeiter gehören auch Praktika bei der Polizei und im Rettungswesen, um die Situation an einem Unfallort kennenzulernen. Fortbildungskurse und Lehrgänge gibt es ebenfalls, allerdings sind sie noch nicht sehr weit verbreitet. Nach belastenden Einsätzen haben auch die KID-Mitarbeiter die Möglichkeit zu Einzelgesprächen mit geschultem Personal, um das Geschehen verarbeiten zu können.
Paul Banasiak, Leiter der Caritas in Barnim, kündigte an, daß vom 19. bis 28. September Haus- und Straßensammlungen landesweit für den KID durchgeführt werden.
© 2009 KID Barnim |
http://www.krisenintervention-notfallseelsorge.de/pages/presse4.html | Last update: 08.06.2009 |